Sicherheit 10-06-2020

Warum (noch) nicht 100 % online gewählt wird

DigiCert

Jede Demokratie steht vor der Herausforderung, das optimale Wahlverfahren zu finden, und das US-Wahlsystem gilt als eines der kompliziertesten weltweit. Während sich die USA auf die Präsidentschaftswahl 2020 vorbereiten, beschäftigen viele Bürger Fragen wie diese: Wie wird sich die Pandemie auf die Sicherheit der Wahl und die Wahlbeteiligung auswirken? Sollten die Wahlen verschoben werden? Wie sicher ist die Briefwahl? Wie wahrscheinlich ist es, dass Angreifer die Wahl manipulieren? Warum können wir nicht einfach auf Online-Wahlen umsteigen?

Diese Fragen kann niemand abschließend beantworten, dennoch möchte ich ein paar mögliche Maßnahmen zum Schutz des Wahlprozesses vorstellen sowie die Vor- und Nachteile der verschiedenen Wahlverfahren beleuchten. Dabei werde ich näher darauf eingehen, warum sich viele Demokratien scheuen, auf Online-Wahlen umzusteigen.

Warum kann nicht einfach jeder vom Computer aus seine Stimme abgeben?

Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie sind große Menschenansammlungen zu vermeiden, deshalb wäre es doch nur logisch, die Präsidentschaftswahl online durchzuführen, sodass Bürger ihre Stimme vom heimischen Computer aus abgeben können. Schließlich erledigen wir mittlerweile so viele Dinge online: Bankgeschäfte, Bestellungen in Online-Shops, Online-Unterricht, und viele arbeiten inzwischen im Homeoffice. Warum also nicht auch online wählen?

Laut Brian Honan, CEO von BH Consulting und früherer Sonderberater der Europol zum Thema Cybersicherheit, ist ein Grund, warum viele Regierungen die Umstellung auf Online-Wahlen noch immer scheuen, dass ein Hackerangriff bei einer Wahl sehr viel weitreichendere Konsequenzen hat als eine gehackte Online-Transaktion. „Wenn bei einer Online-Zahlung oder Banktransaktion etwas schiefgeht, sind nur die an der Transaktion beteiligten Parteien davon betroffen und das Problem lässt sich relativ leicht lösen“, meint Honan. „Probleme, die im Verlauf einer Wahl auftreten, lassen sich hingegen nicht so leicht aus der Welt schaffen und könnten dramatische Folgen für die Zukunft des Landes oder gar der ganzen Welt haben.“

Einige US-Bundesstaaten haben das Potenzial von Online-Wahlen jedoch bereits getestet. 2018 erlaubte West Virginia über hundert im Ausland stationierten Mitgliedern des US-Militärs, ihre Stimme über eine App namens Voatz abzugeben. Während der diesjährigen Vorwahlen gestattete West Virginia Wählern mit bestimmten Behinderungen, über eine Software namens OmniBallot zu wählen. Bisher ist nicht bekannt, welche Methoden in dem Bundesstaat bei der Wahl im November zum Einsatz kommen werden. Forscher am MIT haben jedoch alarmierende Mängel an der Voatz-Software entdeckt. Ihren Angaben zufolge weise Voatz Schwachstellen auf, über die Angreifer die Stimmabgabe eines Wählers verändern, stoppen oder veröffentlichen könnten. Sie kamen zu folgendem Schluss: „Unsere Erkenntnisse verdeutlichen, warum die Stimmabgabe im Internet aus guten Gründen weithin abgelehnt wird, und zeigen, wie wichtig Transparenz für die Legitimität von Wahlen ist.“

Norwegen, eines der technisch fortschrittlichsten Länder der Welt, bot seinen Wählern von 2011 bis 2013 auch die Möglichkeit der Online-Stimmabgabe an, stellte dieses Verfahren jedoch wieder ein, da die Bürger wenig Vertrauen in das Wahlergebnis hatten. Außerdem gab es Befürchtungen, dass Geräte über Sicherheitslücken manipuliert werden könnten. Das Online-System führte auch nicht zu einem Anstieg der Wahlbeteiligung oder einem effizienteren Wahlablauf, sodass das Land höchstwahrscheinlich auch in Zukunft nicht mehr zur Online-Stimmabgabe zurückkehren wird. Zudem war das noch vor den Befürchtungen, dass sich ausländische Akteure in die Wahlen einmischen könnten, was den Ruf von Online-Wahlsystemen nachhaltig schädigen könnte.

Ein Land bietet jedoch bereits seit knapp 15 Jahren erfolgreich ein Online-Wahlverfahren an. Die Bürger von Estland können ihre Stimme von jedem Computer aus abgeben, überall auf der Welt. Die estnische Regierung schätzt, dass 1,3 Millionen Menschen das Online-System nutzen. Damit lassen sich 11.000 Arbeitsstunden pro Wahljahr einsparen. Ihre Wahlberechtigung weisen die Bürger über eine spezielle ID-Nummer nach, die keine Rückschlüsse auf die Identität des Wählers erlauben. So ist auch der Datenschutz gewährleistet. Und noch ein beeindruckender Fakt: Es gibt keine Berichte zu Einmischungen in die Wahl – das bedeutet, Wähler können dem Verfahren und dem Wahlergebnis vertrauen. In den USA dürfte jedoch in absehbarer Zeit nicht mit einer ähnlichen Lösung zu rechnen sein. Als ein Analystenteam der Universität von Michigan Estland besuchte, um die Sicherheit des Systems zu testen, stießen sie auf mehrere Probleme, die die Software für äußere Bedrohungen angreifbar macht. Das Land will das Online-System jedoch weiterhin einsetzen.

Bedeutung des Vertrauens der Wähler

Ein weitere Hürde ist das Misstrauen von Wählern und Politikern gegenüber der Online-Stimmabgabe. Was wäre, wenn das Internet ausgerechnet am Wahltag ausfiele? Woher wissen wir, dass unsere Online-Stimmen nicht manipuliert werden? Die aktuellen Unruhen in Belarus sind ein eindringliches Beispiel, was passieren kann, wenn Bürger ein Wahlergebnis anzweifeln. Seit dem fragwürdigen Ausgang der Präsidentschaftswahl, bei der der amtierende Präsident 80 Prozent der Stimmen erhielt, protestieren die Bürger von Belarus, mittlerweile seit 50 Tagen. Sie haben ihr Vertrauen in das Wahlsystem verloren.

„Einer der Hauptgründe, warum Wahlen in vielen Ländern (nicht nur in den Vereinigten Staaten) bisher nicht auf das Online-Wahlverfahren umgestellt haben, ist meiner Meinung nach, dass viele bezweifeln, dass ihre Stimme richtig gezählt wird“, kommentiert Honan. „Es gibt Befürchtungen, dass die Online-Wahlsysteme gehackt werden könnten, um das Wahlergebnis zugunsten eines bestimmten Kandidaten zu manipulieren, oder dass Stimmen verloren gehen, falsch gezählt werden oder dass das System während der Wahl offline gestellt wird, sodass Bürger ihr Wahlrecht nicht ausüben können.“

Ein Wahlverfahren muss dem Durchschnittswähler vermitteln, dass es sicher ist, damit er dem Wahlergebnis traut. Das bedeutet, die Identität der Wähler muss in irgendeiner Form überprüft werden. In den USA regelt jeder Bundesstaat selbst, wie Bürger ihr Wahlrecht nachweisen können. Aktuell gibt es dazu verschiedene Möglichkeiten, vom Führerschein bis hin zur Unterschriftsprüfung. In Zukunft könnte die Wählerregistrierung und Identitätsprüfung per Fingerabdruck-Scan oder individuellem Bürgercode ablaufen.

Honan ist optimistisch, dass das Online-Wahlverfahren in den nächsten zehn Jahren Realität werden könnte. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Wahlen in Zukunft online stattfinden werden“, so Honan. „Die Pandemie ist ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen, Unternehmen, Gesellschaften, Länder und tatsächlich die ganze Welt die damit verbundenen Herausforderungen mithilfe von Technologie gemeistert haben.“

Doch hinsichtlich der anstehenden Präsidentschaftswahl sind die USA nicht darauf vorbereitet, dass viele Bürger online wählen. Da 2020 in weiten Teilen des Landes noch keine Online-Abstimmung möglich ist, stellt sich die Frage, welche Wahlmethode am sichersten ist. Dieser Frage widmen wir uns in einem unserer nächsten Beiträge.

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